Das Konfessionalisierungsparadigma – Leistungen, Probleme, Grenzen. XX. Bayreuther Historisches Kolloquium

Das Konfessionalisierungsparadigma – Leistungen, Probleme, Grenzen. XX. Bayreuther Historisches Kolloquium

Organisatoren
Dieter J. Weiß, Bayerische und Fränkische Landesgeschichte Universität Bayreuth; Thomas Brockmann, Geschichte der Frühen Neuzeit, Universität Bayreuth
Ort
Bayreuth
Land
Deutschland
Vom - Bis
22.05.2008 - 24.05.2008
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Von
Dirk Pfeifer, Lehrstuhl Geschichte der Frühen Neuzeit, Universität Bayreuth

Mit dem Erscheinen des großen Aufsatzes zur Konfessionsbildung von Ernst Walter Zeeden im Jahr 1958 in der Historischen Zeitschrift wurde ein Konzept in die Geschichtswissenschaft eingebracht, welches seit nunmehr 50 Jahren versucht, konfessionelle Formierungsvorgänge insbesondere der Frühen Neuzeit in vergleichender Weise zu untersuchen und zu erklären. Dabei darf die Konzentration auf die Parallelität in der Entwicklung der katholischen, lutherischen, reformierten Konfessionskirchen und -kulturen als besondere Errungenschaft gewertet werden. Vor allem in der Weiterentwicklung durch Wolfgang Reinhard und Heinz Schilling unter dem Stichwort „Konfessionalisierung“ hat dieser Ansatz seit den 1970er-Jahren höchst fruchtbar gewirkt, allerdings auch Kontroversen ausgelöst. Den 50. Jahrestag der Publikation von Zeedens Aufsatz nahmen nun die Bayreuther Historiker Dieter J. Weiß und Thomas Brockmann zum Anlass, im Rahmen des XX. Bayreuther Historischen Kolloquiums unter dem Titel „Das Konfessionalisierungsparadigma – Leistungen, Probleme, Grenzen“ zum Rückblick auf die Genese des Konzepts und zum Gespräch über den Forschungsstand einzuladen. Dabei verfolgte die Tagung auch das Ziel, jene Aspekte des Modells, welche der Konfessionalisierung eine zentrale Rolle in der Entwicklung frühmoderner Staatlichkeit, in der Ausbildung moderner Gesellschaften und in der Ausformung des internationalen politischen Systems einräumen, kritisch zu überprüfen. Unter Beteiligung namhafter Wissenschaftler aus dem In- und Ausland sollten somit eine Bestandsaufnahme der aktuellen Diskussion, aber auch Anregungen für die weitere Forschung gegeben werden. Unterstützt wurde die Veranstaltung durch den Bayreuther Universitätsverein und die Forschungsstiftung für Bayerische Landesgeschichte.

Den Auftakt bildete der öffentliche Abendvortrag von DIETER J. WEISS (Bayreuth), der am Beispiel der Großen Bamberger Fronleichnamsprozession und damit orientiert an einem Territorium der Reichskirche untersuchte, inwiefern sich eine katholische Konfessionalisierung als Folge des Tridentinums im 16. und 17. Jahrhundert ausmachen lasse. Im Ergebnis ließ sich dies jedoch nicht nachweisen. Weder für das Bistum Bamberg noch für die Fronleichnamsprozession lassen sich grundlegende Veränderungen im tridentinischen Sinne für das 16. Jahrhundert festmachen. Stattdessen wurde an den Elementen der Prozession anschaulich verdeutlicht, dass eine weitgehend unveränderte Glaubenspraxis in Kontinuität seit dem Spätmittelalter fortbestand und eine tatsächlich dauerhafte Umsetzung tridentinischer Reformen erst im 18. Jahrhundert auszumachen ist. Als maßgebliche Gründe für diese erst spät einsetzende katholische Konfessionalisierung nannte Weiß neben der traditionellen katholischen Glaubenspraxis seit dem Mittelalter unter anderem den reichskirchlichen Traditionalismus, den Widerstand des Domkapitels gegen die Umsetzung der tridentinischen Dekrete und das lange Fehlen eines geweihten Bischofs in Bamberg.

Zum eigentlichen Tagungsbeginn führte THOMAS BROCKMANN (Bayreuth) die Teilnehmer der Konferenz zunächst in das Thema ein, indem er insbesondere die konfessionsvergleichende, methodische Errungenschaft des Zeedenschen Konfessionsbildungskonzeptes betonte. Darüber hinaus beschrieb er die Weiterentwicklung im Konfessionalisierungsparadigma durch Reinhard und Schilling und ging schließlich auf dessen Vorteile, Problematik und auf die Grenzen der Anwendbarkeit ein, wie sie sich seit Bestehen des Konzeptes in der geschichtswissenschaftlichen Untersuchung darstellen. Damit umriss Brockmann nicht nur das Thema und Ziel der Tagung, sondern gab auch anregende Fragestellungen an Referenten und Publikum weiter.

In der anschließenden ersten Sektion, die sich mit konzeptionellen und historiographischen Grundfragen auseinandersetzte, unternahm HARM KLUETING (Köln/Fribourg) eine Reise durch die Geschichtswissenschaft der letzten 50 Jahre und zeigte in historiographischen Etappen von Zeeden über Oestreich, Reinhard, Schilling bis zu Heinrich Richard Schmidt die verschiedenen Entwicklungsstufen der Konfessionalisierungsdebatte auf. Dabei berührte er die Problematik des „Konfessionellen Zeitalters“ als Epochenbegriff ebenso wie die der Begrifflichkeiten „Katholische Konfessionalisierung“, „Gegenreformation“ und „Katholische Reform“ und sprach sich für das Festhalten am letzteren Terminus aus, da dieser die noch vor dem 15. Jahrhundert einsetzende innerkirchliche Reformbewegung am aussagekräftigsten wiedergebe. In einem weiteren Teil ging Klueting auf die Entwicklung des Konfessionalisierungsparadigmas nach seiner Lösung vom Konzept des „Frühmodernen Staates“ ein und wies auf jüngere Forschungen hin, in denen das ursprüngliche Konfessionalisierungsmodell zum Teil ent-etatisiert wird und zunehmend auch wieder nicht-konfessionelle Elemente und Motive frühmoderner Innen- und Außenpolitik herausgearbeitet werden. Abschließend rief der Referent einerseits zu einer Retheologisierung der Konfessionalisierungsforschung auf und forderte andererseits, aus kirchengeschichtlicher Sicht bestehende konfessionelle Beschränkungen abzubauen und stattdessen deutlicher auf die Beziehungen und Interaktionen der Bekenntnisse zu achten.
Auch ROBERT BIRELEY S.J. (Chicago) befasste sich in seinem Beitrag mit der Frage nach der Konzeptualisierung des frühneuzeitlichen Katholizismus. Er stellte dabei die Alternativen „Katholische Konfessionalisierung“ und „Frühmoderner Katholizismus“ gegenüber und versuchte anhand einschlägiger Themenbereiche der Konfessionalisierungsforschung Tendenzen herauszuarbeiten, die eine Einordnung des frühneuzeitlichen Katholizismus in eine dieser beiden Kategorien rechtfertigen. Dabei bezog Pater Bireley die Entwicklung des Kirchenstaates zu einem modernen Staat ein, nannte Reaktionen der Kirche und insbesondere der Orden auf die wirtschaftlichen, demographischen und sozialen Veränderungen der Frühen Neuzeit, nahm Bezug auf die europäische Expansion nach Asien und Amerika, berücksichtigte die kulturelle, geistige und intellektuelle Bewegung der Renaissance und ging abschließend auf die Reformation und auf post-tridentinische Reformbewegungen ein. Unter Berücksichtigung all dieser Punkte kam er zu dem Schluss, dass der Begriff des „Frühneuzeitlichen Katholizismus“ angemessen sei, beschreibe er doch die innerkirchliche Entwicklung und die Anpassung der katholischen Kirche an veränderte Rahmenbedingungen in Kontinuität der Reformbewegungen des Spätmittelalters, während der Begriff der „Katholischen Konfessionalisierung“ zu stark an die Vorgänge der Reformation gebunden sei.

Die zweite Sektion der Tagung befasste sich mit den Interdependenzen und dem Vergleich zwischen den Konfessionalismen und wurde durch den Vortrag des Volkskundlers WOLFGANG BRÜCKNER (Würzburg) gestaltet. In vergleichendem Blick auf die populäre praxis pietatis arbeitete der Referent Unterschiede und Gemeinsamkeiten der Konfessionalisierung heraus. Auch Brückner stellte dabei fest, dass eine erfolgreich implementierte, also tatsächlich gelebte Frömmigkeit im Sinne einer konfessionellen Durchdringung an der Basis erst im 18. Jahrhundert nachzuweisen ist, während für den eigentlich im Rahmen des Paradigmas oft in den Blick genommenen Zeitraum des 16. Jahrhunderts vielmehr eine Kontinuität mit dem späten Mittelalter erkennbar sei. Tatsächlich werde bei der Betrachtung von Elementen der praxis pietatis - wie Gestaltung von Kirchenräumen, Symbolik und Liturgie - deutlich, dass kaum Unterschiede zwischen den Anhängern des lutherischen Bekenntnisses und Anhängern der katholischen Kirche bestanden. Brückner kam daher zu dem Schluss, dass die theologischen Veränderungen des 16. Jahrhunderts im Wesentlichen Theorie blieben und die Frömmigkeitspraxis bis in das 18. Jahrhundert nur gering beeinträchtigten.

In der dritten Sektion standen Fallstudien aus der mitteleuropäischen Konfliktzone im Mittelpunkt der Untersuchung von Konfessionalisierung, Staat und Gesellschaft. Den Auftakt bildete der Vortrag von GÜNTER DIPPOLD (Bayreuth/Bamberg), der sich mit den kommunalen Handlungsspielräumen oberfränkischer Städte im katholischen Fürstbistum Bamberg auseinandersetzte. Er stellte dabei fest, dass einerseits der Grad der Eigenständigkeit der Kommunen und andererseits die Position des Landesherrn über Erfolg und Misserfolg bei der Etablierung protestantischer Strukturen in den Städten entschieden. Dabei spielte das Motiv der kommunalen Repräsentanz im 16. und beginnenden 17. Jahrhundert eine besondere Rolle. Dippold arbeitete heraus, dass Bamberger Landstädte dabei jedoch nur selten ihre Kompetenzen gegenüber dem Landesherrn ausweiteten. Darüber hinaus ist auch auf lokaler Ebene – und hier insbesondere im Bildungsbereich – kein dezidiert konfessionelles Vorgehen der Stadträte zu erkennen, sondern vielmehr ein pragmatischer Umgang mit der konfessionellen Situation der Stadt und mit dem katholischen Landesherrn. Ziel dieser Ratspolitik war daher primär die Erhaltung des religiösen Friedens in den Städten.

Anschließend referierte STEFAN EHRENPREIS (Berlin) über das Phänomen innergemeindlicher Mischkonfessionalität als Problem der Konfessionalisierungsforschung. Wie Ehrenpreis ausführte, stehen systematische Untersuchungen derartiger, auf der Basisebene gemischt konfessioneller Gemeinwesen noch aus. Der Erkenntniswert diesbezüglicher Untersuchungen hinsichtlich der Grenzen der Konfessionalisierungsthese sei aber als hoch einzuschätzen. Beispielhaft konzentrierte er sich auf Gemeinden im Rheinland, in Niederösterreich sowie auf die Reichsstadt Augsburg und richtete methodisch den Blick auf die religiösen Konfliktlagen und auf die zum Einsatz gebrachten konfessionellen Abgrenzungsstrategien innerhalb dieser Gebiete. Bei den Konfliktlagen nannte er besonders die konfrontative symbolische Darstellung der Konfessionen in der Öffentlichkeit, das Schul- und Bildungswesen sowie lokale obrigkeitliche Maßnahmen zur Privilegierung bzw. Behinderung der Religionsausübung. Bei den Abgrenzungsstrategien unterschied Ehrenpreis zwischen „erfolgreichen“ Maßnahmen wie die distanzierte Beobachtung der anderskonfessionellen Rituale bzw. die Anerkennung von Organisationsstrukturen der jeweils anderen Konfession und „nicht-erfolgreichen“ Strategien. Wo die Abgrenzung versagte, kam es etwa zur Teilnahme von Protestanten an katholischen Festen oder zum Besuch anderskonfessioneller Schulen. Im Ergebnis stellte er fest, dass die Entwicklung von Konfessionskulturen in gemischt konfessionellen Gebieten letztlich aber im politischen Raum zu verstehen ist und sich nicht im Gegensatz zur politischen Ordnung, sondern in Auseinandersetzung mit ihr vollzog.

Im festlichen Abendvortrag ging ANDREAS HOLZEM (Tübingen) der Frage nach, ob man eine Erfolgsgeschichte der Konfessionalisierung schreiben könne. Er ging dabei von einer aus dem Jahre 1781 stammenden Reisebeschreibung Friedrich Nicolais aus, der von seiner Wahrnehmung des spezifisch Katholischen in Deutschland und der Schweiz seiner Zeit berichtete. Demnach sei die Konfessionalisierung als mentalitätsprägender Prozess auf einer bestimmten Ebene sicher als erfolgreich zu bezeichnen. Herr Holzem stellte aber zugleich kritisch die Frage, ob der Befund vom erfolgreichen Prozess der Konfessionalisierung auch bedeute, dass das Konfessionalisierungs-
paradigma als Konzeption ein Erfolg sei. Anhand verschiedener Positionen der komplexen Entwicklungsgeschichte des Paradigmas und unter Einbezug eigener Forschungsergebnisse präsentierte Holzem übersichtlich und präzise die dabei erzielten Fortschritte und Differenzierungen und bestätigte auch die bis dahin auf der Tagung vielfach gemachte Beobachtung, dass eine eigentliche Breitenwirkung konfessionalisierender Impulse erst für die Zeit nach 1648 auszumachen ist. Wenngleich auch Holzem viele Elemente der ursprünglichen Konfessionalisierungstheorie relativierte, plädierte er dennoch dafür, das Konfessionalisierungsparadigma als ein „mitlernendes Paradigma“ mit Entwicklungsgeschichte und Entwicklungspotential wahrzunehmen, dessen inspiratorische Kraft zu würdigen sei. Somit könne das Konfessionalisierungsparadigma durch weitere Differenzierung und Verfeinerung auch künftig als „methodischer Werkzeugkasten“ zur Erforschung historischer Prozesse dienen.

Mit Sektion IV konzentrierten sich die Konferenzteilnehmer nun auf die gesamteuropäische Perspektive der Konfessionalisierung. Den Anfang machte JOSEF SCHMID (Mainz), der über die monarchische Religion in Frankreich, England und Russland sprach. Schmid betonte für alle drei Monarchien die zentrale Rolle der Königsweihe. Von hier aus entwickelte er die These, dass nicht die Monarchie die Konfession bestimmte, sondern dass vielmehr umgekehrt die Konfession, wie sie sich in Elementen der Weiheliturgie manifestierte, die Monarchie prägte. Schmid wies dies insbesondere für Heinrich IV. von Frankreich, Heinrich VIII. von England und Peter I. von Russland nach. Demnach erhielten Könige diese Formen auch und besonders nach theologischen und kirchenpolitischen Veränderungen aufrecht, um damit in der Person des Monarchen die Garantie von Orthodoxie und Tradition zu reflektieren. Damit vertrat Schmid eine außergewöhnliche These, die dem Konfessionalisierungskonzept entgegen steht und dessen Anwendbarkeit insbesondere auf die Politik der französischen Krone in Frage stellt.

Auch THOMAS NICKLAS (Erlangen) setzte sich mit dem Frankreich des 16. Jahrhunderts auseinander, richtete den Fokus aber auf die interessante Person des Kardinals von Lothringen, Charles de Guise (1524 – 1574). Dabei wurde deutlich, dass sich der Kardinal zunächst keineswegs im Geiste des Tridentinums für stark konfessionalisierendes Handeln entschied, sondern dass er versuchte die religiösen Auseinandersetzungen seiner Zeit auf politischem – und dabei durchaus machiavellismusverdächtigem – Wege zu lösen. Immerhin befanden sich für ihn die Lutheraner noch „innerhalb des Orbit des Katholischen“. Eine friedliche Rückführung der Lutheraner bei gleichzeitiger Reform der gallikanischen Kirche war damit zunächst durchaus eine seiner Handlungsoptionen, bei deren Umsetzung er auch die für ihn latente politische Bedrohung des Calvinismus für die französische Monarchie hätte isolieren können. Erst nachdem die gallikanisch-integrative Alternative versagte, so führte Nicklas aus, wurde Charles de Guise klar, dass auch er sich konfessionalisierenden Maßnahmen nicht verschließen konnte, und er förderte diese dann im tridentinischen Sinne.

Anschließend rückte LUDOLF W.G. PELIZAEUS (Galway/Mainz) die iberische Halbinsel in den Blickpunkt und überprüfte, ob der für die römisch-katholisch gebliebenen Mittelmeeranrainer Italien und Spanien eher selten angewandte Begriff der Konfessionalisierung auch hier gebraucht werden könne und solle. Dabei ging er auf das Wirken der Inquisition gegen die „luteranos“ ein, ebenso wie auf ihr konfessionalisierendes Vorgehen innerhalb der spanischen Kirche mit Hilfe der „commissarios“ und „familiares“. Ziel dieser Maßnahmen war die Durchsetzung einer geschlossenen Großgruppe und die Formierung von Glaubensidentitäten im Sinne des Zeedenschen Konfessionsbildungskonzeptes, ohne dass dafür eine religiöse Spaltung im Lande selbst als Katalysator notwendig gewesen wäre. Pelizaeus hob schließlich auf das spanische Überseeimperium ab und konnte auch für diese Gebiete Elemente der Konfessionalisierung im Wirken der Jesuiten und Franziskaner nachweisen. Damit plädierte er für eine wenigstens teilweise Anwendbarkeit des Konfessionalisierungsparadigmas auf die iberische Halbinsel und die spanischen Überseegebiete.

Mit der Vorstellung seines Dissertationsprojektes zum Arminianismus in England und den Niederlanden zwischen 1590 und 1650 rückte DIRK PFEIFER (Bayreuth) zwei weitere, für die aktuelle Debatte um das Konfessionalisierungsparadigma wichtige Gemeinwesen in den Blickpunkt. Beschrieben wurden zunächst die Methodik und die Fragestellungen des Vorhabens, welches sich auf binnenkonfessionelle Veränderungen konzentriert und die Bewegung des Arminianismus zugleich in länderübergreifender Perspektive untersucht. Daran anschließend ging Pfeifer der Frage nach, ob und inwiefern sich das Phänomen „Arminianismus“ mit Begriffen wie Konfessionsbildung und Konfessionalisierung fassen lässt und inwieweit eine Untersuchung zum niederländisch-englischen Phänomen des Arminianismus einen Beitrag zur Konfessionalisierungs-
debatte leisten kann.

Den Abschluss dieser Sektion bildete der Vortrag von THOMAS BROCKMANN (Bayreuth), der die Elemente des konfessionellen Fundamentalismus und der Konfessionalisierung der Außenpolitik anhand der Politik Kaiser Ferdinands II. überprüfte. Dabei konzentrierte er sich in der Analyse auf die kaiserliche Landespolitik in der Phase des böhmischen Aufstandes, die Wiener Reichspolitik in der Phase kaiserlich-ligistischer Überlegenheit zwischen 1621 und 1630 und die kaiserliche Politik im mächtepolitischen Feld. Brockmann konnte aufzeigen, dass Ferdinands Politik in den Erblanden und im Reich zwar wohl markant von gegenreformatorisch-konfessionellen Motiven geprägt war, aber in dieser Form des Engagements doch auch Grenzen kannte und Züge aufwies, die die Rede von einem konfessionellen Fundamentalismus eher überpointiert erscheinen lassen. Zu diesen Charakteristika und Grenzen zählte Brockmann die partielle Bereitschaft zum religionspolitischen Kompromiss, das pragmatische Risikobewusstsein auch in der Konfessionspolitik und die Religionspolitik unter Rücksichtnahme auf den Rahmen und die Grenzen des (freilich einseitig katholisch interpretierten) Rechts. Was die Außenpolitik anbetrifft, so prägte der konfessionelle Antagonismus, so Brockmann, die politischen Verhältnisse im Staateneuropa des frühen 17. Jahrhunderts zwar wirkmächtig mit, aber er ebnete die genuin politischen Antagonismen nicht einfach ein, stellte sie nicht im Sinne eines dominierenden Leitprinzips still und brachte daher auch keine durchgängig konfessionelle Blockstruktur hervor. Damit wurde deutlich, dass auch außenpolitisch nicht undifferenziert von der Konfession als dominierendem Leitprinzip gesprochen werden kann. Maßgebend blieb schließlich doch ein gemeinsames hinlänglich politisches Interesse der Protagonisten für die Bündnispolitik. Im Falle Ferdinands II. bediente dessen Außenpolitik schließlich das Erfordernis der Absicherung der Errungenschaften seiner inneren Konfessionspolitik in den Erblanden und im Reich.

Mit der abschließenden fünften Sektion unternahm die Konferenz einen Ausblick in die Moderne, der durch den Vortrag von MARTIN FRIEDRICH (Bochum/Wien) zur frühneuzeitlichen Konfessionalisierung und dem 19. Jahrhundert unternommen wurde. Unter Bezugnahme auf die einschlägige aktuelle Forschungsdiskussion untersuchte Friedrich die These von der Zweiten Konfessionalisierung und stellte diese in Relation zu den Ergebnissen der Konfessionalisierungs
forschung zur Frühen Neuzeit. Friedrich kam zu dem Schluss, dass man nicht von einer Zweiten Konfessionalisierung im 19. Jahrhundert sprechen könne, da es staatlicherseits und sozial betrachtet keine derartig grundlegenden Veränderungen gegeben habe, wie sie das Konfessionalisierungsparadigma für die Frühe Neuzeit feststellt. Wohl aber, so schlug Friedrich vor, könne man eine Analogie in den kirchlichen Bereichen erkennen, wofür er den Begriff der „Kirchwerdung“ vorschlug, diesen Prozess durchaus als Fundamentalvorgang betrachtete und gleichfalls von einer Parallelisierung konfessioneller Prozesse und von der Integration verschiedener Aspekte sprach.

Aus den Beiträgen und Diskussionen des XX. Bayreuther Historischen Kolloquiums wurde vor allem deutlich, dass die Prozesse und Entwicklungen des 16. und 17. Jahrhunderts schwerlich mit einem einzigen Paradigma umfassend zu erklären sind. Freilich stand nicht das Plädoyer für eine Ablösung des Paradigmas, sondern für seine Weiterentwicklung und Differenzierung, für die weitere Auslotung seiner Potentiale wie allerdings auch seiner Grenzen im Mittelpunkt der Tagung. Es wurde ein spannender Einblick gegeben, wie Historiographie selbst zur Geschichte werden kann. Dabei durchlief das Konfessionalisierungsparadigma unterschiedliche Entwicklungsstufen mit Einschränkungen und Erweiterungen. Dass es heute noch immer zur Analyse herangezogen wird und methodische Vorgaben zum Verständnis frühneuzeitlicher Geschichte macht, spricht zweifellos für die Konfessionalisierungstheorie und insbesondere dafür, dass das Konfessionalisierungs-konzept auch weiterhin das Potential zum „mitlernenden Paradigma“ (Andreas Holzem) hat. Für die weitere Auseinandersetzung damit darf man wohl mit den Worten des Heiligen Paulus schließen: „Prüft aber alles, und das Gute behaltet.“ (1.Thes.5, 21).
Die Beiträge und Ergebnisse der Tagung werden in der Reihe der Bayreuther Historischen Kolloquien veröffentlicht.

Konferenzübersicht:

Öffentlicher Abendvortrag: Die große Bamberger Fronleichnamsprozession und das Konfessionalisierungsparadigma. Überlegungen zum Geschichts- und Kirchenbild (Dieter J. Weiß. Bayreuth)

Eröffnung und Grußworte

Einführung in die Thematik und das Programm der Tagung (Thomas Brockmann)

Sektion I: Historiographische und konzeptionelle Grundfragen, Moderation: Konrad Repgen (Bonn)

Glaubensspaltung – Konfessionsbildung – Konfessionalisierung. Theologische und historische Perspektiven (Harm Klueting, Köln, Fribourg)

Katholische Konfessionalisierung oder Frühmoderner Katholizismus? (Robert Bireley S.J., Chicago)

Sektion II: Die Konfessionalismen – Interdependenz und Vergleich, Moderation: Ralf Behrwald (Bayreuth)

Konvergenzen und Divergenzen der Konfessionalisierung in vergleichendem Blick auf die populäre praxis pietatis (Wolfgang Brückner, Würzburg)

Sektion III: Konfessionalisierung, Staat, Gesellschaft – Fallstudien aus der mitteleuropäischen Konfliktzone, Moderation: Ludger Körntgen (Bayreuth)

Kommunale Handlungsspielräume bei der Ausbildung protestantischer Identität im katholischen Fürstentum – am Beispiel fränkischer Städte (Günter Dippold, Bayreuth, Bamberg)

Mischkonfessionalität als Problem der Konfessionalisierungsforschung (Stefan Ehrenpreis, Berlin, München)

Öffentlicher Abendvortrag: Der katholische Augenaufschlag beim Frauenzimmer (Fr. Nicolai) oder: Kann man eine Erfolgsgeschichte der Konfessionalisierung schreiben? (Andreas Holzem, Tübingen)

Sektion IV: Die Konfessionalisierung in gesamteuropäischer Perspektive, Moderation: Franz Bosbach (Bayreuth), Dieter J. Weiß (Bayreuth)

Monarchische Religion in Frankreich, England und Russland (Josef Schmid, Mainz)

Von der Politik zur Konfession – Der Kardinal von Lothringen und die Anfänge der Konfessionalisierung in Frankreich im 3. Viertel des 16. Jahrhunderts (Thomas Nicklas, Erlangen)

Die Iberische Halbinsel und das Konfessionalisierungsparadigma (Ludolf W. G. Pelizaeus, Galway, Mainz)

Arminianismus in England und den Niederlanden – Ein Beitrag zur Konfessionalisierungsdebatte? (Dirk Pfeifer, Bayreuth)

Konfessioneller Fundamentalismus und Konfessionalisierung der Außenpolitik? Überlegungen zur Politik Kaiser Ferdinands II. 1618-1630 (Thomas Brockmann, Bayreuth)

Sektion V: Ausblick in die Moderne, Moderation: Dieter J. Weiß (Bayreuth)

Die frühneuzeitliche Konfessionalisierung und das 19. Jahrhundert (Martin Friedrich, Bochum, Wien)

Abschlussdiskussion


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